Die japanische Schläfrigkeit

oder: Wie ich ganz japanisch durch die Prüfungszeit komme

19.08.2017

Als ich im Frühjahr das erste Mal in Japan war, fand während meines Aufenthalts die Bachelor-Verleihung meines Lieblingsjapaners statt. Darauf hatte ich mich schon ziemlich gefreut, endlich mal zu sehen, mit wem mein Lieblingsjapaner so studiert hat, ihn das erste Mal im Anzug zu sehen und mit ihm zusammen seinen ersten Unierfolg feiern zu können. Die Verleihung an sich war aber im Endeffekt ehrlich gesagt ziemlich langweilig. Es wurden sehr viele Namen aufgerufen, Menschen wurden geehrt und Reden gehalten, von denen ich nicht mehr als drei Wörter verstehen konnte. Nach einer gefühlten Ewigkeit musste ich immer mehr gegen meine immer schwerer werdenden Augenlieder ankämpfen, schließlich wollte ich nicht unhöflich sein und bei einer so wichtigen Zeremonie einschlafen. Nach einem kurzen Blick ins restliche Publikum fiel mir jedoch auf: Bestimmt ein Drittel der herausgeputzten Eltern, Großeltern und Geschwister saßen in ihren Stühlen und schliefen. Sogar die Lieblingsjapanermama im Stuhl neben mir hatte ihre Augen geschlossen. Und das bei der Bachelorzeremonie! Obwohl (oder vielleicht gerade weil ;) ) die Japaner*innen um mich herum alles verstehen konnten. Das war mein erster richtiger Eindruck von „Inemuri“, dem japanischen Nickerchen oder „Power Nap“. 

Wer in Deutschland schläft – sei es in der U-Bahn, in der Uni oder bei der Bachelorzeremonie – wirkt uninteressiert, faul oder im besten Falle ein bisschen doof, wenn die Kinnlade bei jeder Kurve, die der Stadtbus nimmt ein bisschen weiter aufgeht. In Japan hingegen ist schlafen im Alltag akzeptiert, ja wenn nicht sogar gewertschätzt. Siehe hier oder hier. Wer in der Unibibliothek oder auf dem Heimweg mit der U-Bahn schläft hat allen Anscheins nach davor ziemlich hart gearbeitet und bereitet sich wahrscheinlich gerade sowieso für eine längere Vokabel-lern-Nachtschicht Zuhause vor. Japaner*innen arbeiten für gewöhnlich viel und lange, wie viel das kurze „Inemuri“ dabei zur gesteigerten Effektivität beiträgt, lässt sich natürlich diskutieren. Lustig ist auch, dass Japaner*innen das kurze Wegnicken durch jahrelange Übung anscheinend perfektioniert haben. Es ist erstaunlich, wie viele Japaner*innen es schaffen, beim Schlafen weiterhin kontrolliert auf ihrem Platz sitzen zu bleiben, dabei nicht (wie ich) zu sabbern und dann pünktlich zum richtigen Ausstieg wieder aufzuwachen – Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.

 

Wenn ich in der Tokyoter Unibilbiothek auf den Unischluss des Lieblingsjapaners gewartet habe, musste ich nur einmal links und rechts schauen um mindestens eine Person mit dem Kopf auf den Büchern zu sehen. Nach einigen Vorbehalten habe ich das dann auch mal ausprobiert und gemerkt, wie verdammt gut so ein kurzes Wegnicken nach dem Lernen oder Lesen tut. Und diese Erkenntnis habe ich mit nach Deutschland genommen. Auch wenn es sich erst komisch anfühlt, neben all den mehr oder weniger fleißigen deutschen Studenten einfach mal die Augen zu zu machen gibt es doch keine bessere Möglichkeit eine kurze Pause einzulegen. Ich denke mir einfach, wie japanisch-fleißig ich wohl erst aussehen muss, wenn ich mich jetzt von der harten Denkarbeit kurz erholen muss ;) 

Beste Grüße, deine

- Isabella


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